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Über uns

„Projekt Bauhaus“ : 5 versuche zu einer unvollendeten idee

Im Jahr 2019 jährt sich die Gründung des Bauhauses zum hundertsten Mal. Aus diesem Anlass wurde das „Projekt Bauhaus“ von einer transdisziplinären, internationalen Gruppe von Experten mit dem Ziel initiiert, in einem auf fünf Jahre angelegten Arbeitsprozess eine kritische Inventur der Bauhaus­ideen vorzunehmen und den utopischen Überschuss des Bauhauses für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Wir laden alle ein, sich der experimentellen Suche nach einer Erneuerung von Kunst, Design und Architektur im Verhältnis zur zeitgenössischen Gesellschaft anzuschließen. Im Mittelpunkt steht dabei die Bauhausidee, die Grenzen der Disziplinen und die Fragmentierung der Moderne zu überwinden und mit Gestaltung Gesellschaft und Alltag zu verändern.

Konzept

Projekt

Das historische Bauhaus, gegründet 1919, war in den 14 Jahren seines Bestehens eher ein Projekt als eine Institution: dreimal geschlossen und an unterschiedlichen Standorten wiedereröffnet, mit sich ändernder Trägerschaft und Struktur, wechselnden Lehrkräften und Direktoren, war es stets im Umbruch. „Projekt Bauhaus“ greift diesen Projektcharakter auf und untersucht in einem auf fünf Jahre angelegten Prozess bis zum Jubiläumsjahr 2019 anhand von fünf wechselnden Themenschwerpunkten und in sich ändernden Konstellationen und Arbeitsformen die Relevanz von Bauhausideen.

Versuche

Versuchen meint das Experimentieren, auch im praktischen Sinne von Ausprobieren. Suche verweigert zudem die Vorstellung von Gewissheit und Absolutheit. „Projekt Bauhaus“ verweist damit auf ein utopisches Moment, das angestrebt, aber nie erreicht wird.

Unvollendet

Vieles am Bauhaus Angestrebte wurde nicht erreicht, doch sein Konzept hat einen utopischen Überschuss geschaffen, der bis heute nachwirkt. Noch über 80 Jahre nach Schließung der Institution besteht der Wunsch nach Fortführung des Projekts in der Gegenwart. Dabei gilt es, die Bauhausideen kritisch zu evaluieren. Denn die Kritik von Gestaltung ist eine Voraussetzung, ihr emanzipatorisches Potenzial neu zu denken. „Projekt Bauhaus“ setzt nicht einfach das historisch „unvollendete Projekt der Moderne“ fort, sondern entwickelt die Idee dynamisch in Relation zur heutigen gesellschaftlichen Situation weiter.

Idee

„Das Bauhaus war eine Idee, und ich glaube, dass die Ursache für den ungeheuren Einfluss, den das Bauhaus in der Welt gehabt hat, in der Tatsache zu suchen ist, dass es eine Idee war.“ Mies van der Rohe (1953)

Selbstverständnis

Das historische Bauhaus hat mit seinem Gestaltungsbegriff nicht an der Gegenwart, sondern an einer ebenso absehbaren wie imaginierten Zukunft angesetzt. Es hat versucht, die Transformation von der handwerklichen zur industriellen Produktion, vom Laissez-faire-Kapitalismus zum Wohlfahrtsstaat fortschrittlich zu gestalten. Heute haben wir es mit den Spätfolgen dieser Prozesse zu tun. Es gilt, die Konsumgesellschaft durch Formen der Co-Produktion und Prosumption abzulösen, den Wandel von einer fossilen zur postfossilen Industriegesellschaft und von einer expansiven zu einer inklusiven Modernisierung zu gestalten. Die Fähigkeit des Kapitalismus, sich zu transformieren und Gegenpositionen zu absorbieren, begünstigt diese Veränderung und setzt ihr zugleich Grenzen.

In den 1920er-Jahren sprach man von der Neuen Welt, dem Neuen Menschen, der Neuen Stadt, um vom Fluchtpunkt einer imaginierten Zukunft gegenwartsmächtig zu werden. Heute durchdringt die moderne Industriegesellschaft die ganze Lebenswelt. Es geht nicht mehr darum, eine neue Welt zu erfinden. Wir benötigen ein anderes Verständnis als jenes der klassischen Avantgarde von Erneuerung und dem Neuen. Deshalb ist eine grundsätzliche Kritik oder Radikalisierung der Moderne dringend geboten. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich die Perspektive einer Gestaltung als Re-Form der Gegenwart ab.

Wir halten den Blick auf das Ganze für unverzichtbar, aber haben den positivistischen Glauben an die Möglichkeit eines umfassenden und vollständigen Verstehens der Welt, an die Einheitswissenschaft, verloren. Nicht auflösbare Widersprüche wie auch eine fundamentale Unvollständigkeit des Wissens und der Erkenntnis erfordert ein Agieren mit Unsicherheiten und Unwissen.

Wir interessieren uns für das Bauhaus aus der Perspektive der Gegenwart. Uns geht es nicht um die Fetischisierung und Mystifizierung eines Erbes. Wir halten wesentliche Teile der Programmatik der klassischen Moderne auch für die Gegenwart für wegweisend – sei es die Orientierung der Gestaltung am Gebrauch und an der Funktion, sei es der Glaube an die emanzipatorischen Möglichkeiten der Gestaltung, sei es, verschiedene Formen zeitgenössischen Wissens mit der Gestaltung zu verbinden und heutige Technologien zu nutzen, sei es Kritik an der Gegenwart durch Gestaltung. Uns interessieren weniger die konkreten Produkte des Bauhauses als seine Ambitionen und Methoden. Im Sinne einer reflexiven Moderne gilt es, auch die Entwicklungs- und Wirkungsgeschichte des historischen Bauhauses zu untersuchen und kritisch zu reflektieren, um auch aus den Fehlern und Sackgassen des Bauhauses lernen zu können.

Erforderlich ist daher eine kritische Inventur. Welche Ideen, Methoden und Konzepte des historischen Bauhauses können produktiv aufgegriffen und fortgeführt werden, welche sind zu verwerfen? Keineswegs alles, was das Bauhaus hervorgebracht hat, hat sich bewährt. Viele Widersprüche zwischen Anspruch, Praxis und Wirkung sind offenkundig geworden, und zuweilen ist die Intention selbst zu hinterfragen. Eine solche Inventur wird auch zwischen den verschiedenen Bauhäusern unterscheiden und sich mit den Differenzen zwischen diesen oft in Widerstreit und auch in Konflikten liegenden Positionen befassen müssen.

Die Tendenz, Gestaltung als Werkzeug gesellschaftlicher Emanzipation weiterzuentwickeln und zu propagieren, muss selbst einer Kritik unterzogen werden. Die Expansion der Gestaltung in alle Lebens- und Weltbereiche, von den Landschaften, Straßen und Städten bis hin zu den Arbeitsplätzen, der Wohnung und tiefer hinein in die Personen und ihre Beziehungen, in Nanostrukturen und Genome ist gegenwärtige Realität. Vor dem Hintergrund dieser Ästhetisierungen und Subjektivierungen von Herrschaft wäre im allgegenwärtigen Überfluss von Gestaltung möglicherweise deren Abwesenheit ein befreiendes Moment. Die Kritik von Gestaltung ist eine Voraussetzung, ihr emanzipatorisches Potenzial neu zu denken.

Wir räumen ein, dass das historische Bauhaus nicht nur eine gesellschaftliche Idee von Gestaltung verfolgte, aber dies ist, was uns interessiert. Und wir räumen ein, dass wir keine Gewissheit haben, ob dieser Anspruch sinnvoll realisierbar und daher selber zu hinterfragen ist. Insofern bleibt es unverzichtbar, auch eine kritische Analyse der Geschichte vorzunehmen und die Wechselwirkungen zwischen Gestaltung und Gesellschaft genauer zu untersuchen.

Obwohl die Institution Bauhaus seit 80 Jahren geschlossen ist, ist für uns die Bauhausidee – die Grenzen der Disziplinen und die Fragmentierung der Moderne zu überwinden sowie mit Gestaltung Gesellschaft und Alltag zu verändern – als Anspruch unverändert relevant.

Das Bauhaus ist heute Allgemeingut geworden und niemand kann eine Deutungshoheit hierüber für sich in Anspruch nehmen. Mit dem 100-jährigen Jubiläum wird es eine intensivierte Beschäftigung mit dem Bauhaus geben. Die Bauhausinstitutionen werden hierzu zentrale Beiträge erbringen. Ebenso werden zahlreiche Kulturinstitutionen, Hochschulen, Forscher und Gestalter aus aller Welt Projekte entwickeln und Position beziehen. Wir möchten uns in den Diskurs einbringen. Schon historisch hat das Bauhaus aus dem Widerstreit heterogener Positionen gelebt. Dies gilt heute mehr denn je: Wir wünschen uns eine lebendige, kontroverse Debatte um das Bauhaus.

Künstlerische Leitung: Jesko Fezer, Christian Hiller, Anh-Linh Ngo, Philipp Oswalt, Joanne Pouzenc, Jan Wenzel
Programmkoordination: Joanne Pouzenc
Projektmanagement: Christine Rüb, Katja Szymczak
Projektassistenz: Nora Dünser